Christoph Zuschlag

»... auch nur Farben und Formen auf eine Fläche.«

Über die Magie von Rissas Malerei

(Veröffentlicht im Katalog zur Ausstellung „Rissa – Gemälde und Zeichnungen“, 2003, Reihe „Akademos“ im MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Sammlung Ströher; Zusammenarbeit mit der Kunstakademie Düsseldorf)

Malerei ist heute das Schwierigste, und zwar die gegenständliche, die figürliche Malerei. Nicht die zurückgewandte Malerei, sondern die aus einem Denken, einem Bewusstsein, einem umfassenden und übergreifenden Gespür für die Gegenwart heraus entwickelte Malerei.

Jean-Christophe Ammann

Diese Äußerung von Jean-Christophe Ammann beschreibt präzise das künstlerische
Programm von Rissa. Denn seit bald 40 Jahren arbeitet die Künstlerin mit großer
Konsequenz und Beharrlichkeit an einer Malerei, die zugleich gegenständlich und
gegenwärtig ist. Dabei hat Rissa dem alten Medium Malerei in formaler und
inhaltlicher Hinsicht ganz neue, aussagekräftige Möglichkeiten eröffnet und eine
ureigene künstlerische Konzeption und Handschrift entwickelt. Es ist wohl nicht
übertrieben, die Malerei von Rissa, die im heutigen Kunstbetrieb eine Einzelgängerin
geblieben ist, als einzigartig zu bezeichnen. Bei Hans-Georg Gadamer lesen wir
dazu: »Einzigartig ist ja das, was als das Eine, das es ist, eine ganze Art, ein ganzes
Allgemeines zur Darstellung bringt.« 2 Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen
Wiederaufblühens der Malerei 3 scheint Rissas Bildern, die in dieser Ausstellung und
dem sie begleitenden Katalog in einer repräsentativen Auswahl vorgestellt werden,
eine besondere Brisanz zuzukommen.
Rissas künstlerische wie auch private Biographie ist eng mit der Staatlichen
Kunstakademie Düsseldorf verbunden. 1938 in Rabenstein bei Chemnitz geboren,
übersiedelt Rissa — sie trägt damals noch ihren Mädchennamen Karin Martin —
1953 in den Westen und macht 1959 das Abitur in Bochum. Im selben Jahr nimmt
sie ein Studium der Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf auf. Ebenfalls 1959
folgt Karl Otto Götz, einer der Wegbereiter und Hauptprotagonisten des deutschen
Informel, einem Ruf an die Kunstakademie Düsseldorf, und 1960 wechselt Karin
Martin in seine Klasse. 1965 heiraten die beiden Künstler. Seit 1975 hat Rissa selbst
eine Professur an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf inne, seit 2001
bekleidet sie dort das Amt der Prorektorin.
Bereits während ihrer Schulzeit beschäftigt sich Rissa intensiv mit der klassischen
Moderne, insbesondere mit Kubismus und Expressionismus. Mit Aufnahme des
Studiums in Düsseldorf rückt das Informel, die damalige Avantgarde, in den
Mittelpunkt von Rissas bildnerischem Interesse, sie setzt sich insbesondere mit der
künstlerischen Konzeption und Technik ihres Lehrers K. O. Götz auseinander. Bis in
die frühen 60er Jahre stellt sich Rissas Werk in stilistischer Hinsicht heterogen dar.
Zwischen Kubismus und Expressionismus, Picasso und Beckmann, Buchheister und
K. O. Götz sucht sie ihren eigenen Weg, dabei in raschem Wechsel Stilmodi
erprobend und verwerfend. In diesem Prozess der Suche nach der eigenen

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künstlerischen Konzeption, der sich vor allem in Arbeiten auf Papier niederschlägt,
liegt das Fundament von Rissas späterem Werk. 4 Die künstlerischen Erfahrungen,
die sie in diesen Jahren gesammelt, und die Fähigkeiten, die sie erworben hat,
bilden den Fundus, aus dem die Künstlerin bis heute schöpft.
Das Jahr 1964 markiert einen Wendepunkt. In diesem Jahr definiert die Malerin die
Grundlage und Ziele ihrer Kunst radikal und in bis heute gültiger Weise neu — und
legt sich, nach einem Ort in Norwegen, den Künstlernamen Rissa zu. Es geht ihr um
nichts Geringeres als um eine Erneuerung der Malerei sowohl auf formaler als auch
auf inhaltlicher Ebene. 1966 formuliert Rissa: »Ich will ungewöhnliche
Gegenstandsbeziehungen und Handlungen darstellen, die in der Wirklichkeit wohl
vorkommen, jedoch selten beachtet werden. Darüber hinaus will ich Gegenstände
und Handlungen in einer Weise darstellen, wie es eben nur in der Malerei möglich
ist, aber bisher noch von keinem Maler realisiert wurde.« 5 Erklärtes Ziel von Rissa
ist, die formalen Errungenschaften und Darstellungsmodi der Moderne — von
expressiv über konstruktiv bis informel — in eine neue figurative Malerei
einzubinden, also im Zeichen einer neuen Figuration zu einer Synthese
gegenstandsorientierter, abstrahierender und abstrakter Ansätze zu gelangen.
Ihr künstlerisches Programm formulierte Rissa zu einer Zeit, da sich in der Kunst ein
Paradigmenwechsel vollzog und die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf ein
Zentrum des aktuellen Geschehens war. Mit der wachsenden Anerkennung des
Informel Ende der 50er Jahre, die sich auch in der Berufung von K. O. Götz 1959
und von Gerhard Hoehme 1960 nach Düsseldorf niederschlug, formierten sich,
gerade auch im Schülerkreis der Informellen, künstlerische Gegenkräfte. 6 1959
konstatierte der Maler Hans Platschek, der bis dahin selbst zum Informel gehört
hatte, die Vulgarisierung und Banalisierung des Informel und forderte — so der Titel
seines Buches — »Neue Figurationen«. 7 Ab Mitte der 50er Jahre und dann vor allem
seit den 60er Jahren entstand, parallel zur englischen und US-amerikanischen Pop-
art, in der westdeutschen Malerei ein breites Spektrum neuer gegenständlicher
Tendenzen, getragen unter anderem in München von der Gruppe »Spur«, in
Hamburg von der Gruppe »Zebra«, in Berlin von Baselitz, Schönebeck, Koberling
und Lüpertz, in Karlsruhe von Antes und in Düsseldorf von Klapheck, Richter, Polke
und Rissa. Mit der 1958 in Düsseldorf gegründeten »Zero«-Gruppe und der
»Analytischen Malerei« entwickelten sich zeitgleich neue Ausprägungen der
Abstraktion, die Elemente wie Licht, Raum und Bewegung einbezogen und eine
Objektivierung und Systematisierung der künstlerischen Mittel anstrebten. Während
diese Strömungen das Tafelbild und den Status des Kunstwerks als materiell
fassbares Artefakt nicht prinzipiell in Frage stellten, vollzog sich in anderen
Bereichen der »Ausstieg aus dem Bild« 8 . Mit Aktionskunst, Happening und Fluxus —
1963 fand an der Kunstakademie Düsseldorf das zweitägige »Festum Fluxorum
Fluxus« statt —, mit dem Konzept der »Sozialen Plastik« von Joseph Beuys, der
1961 Professor in Düsseldorf wurde, sowie mit Minimal Art, Land Art und Concept
Art wurden die Grenzen des Tafelbildes gesprengt, neue Kunstformen und ein neuer
Kunstbegriff etabliert. Entgrenzung, Dematerialisierung und Prozess hießen die
neuen Paradigmen der Kunst. Die in diesen Jahren gerade auch in Düsseldorf

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virulenten Debatten um den Wert der Malerei und über den »Erweiterten
Kunstbegriff« spiegeln sich etwa in dem ironischen Aufruf »Hört auf zu malen«
wider, den Jörg Immendorff, damals Schüler von Beuys und heute Kollege von Rissa
an der Düsseldorfer Akademie, 1966 auf ein Bild schrieb. 9
Es ist also eine Zeit des Umbruchs in den Künsten, in der sich Rissa für die Malerei
entscheidet und zwar für eine neuartige figurative Malerei. Neuartig in zweifacher
Hinsicht: formal und inhaltlich. Weil bei der Betrachtung gegenständlicher Malerei die
formalen Qualitäten und ästhetischen Probleme häufig in den Hintergrund geraten,
möchte ich mit diesen beginnen. Es sind ohnehin die Qualitäten, die für die Künstler
selbst im Vordergrund stehen. Künstler fragen zuerst nach dem Wie, Betrachter, die
keine Künstler sind, nach dem Was. So antwortete Rissa kürzlich in einem
Fragebogen: »Bei gegenständlichen Bildern male ich letzten Endes auch nur Farben
und Formen auf eine Fläche.« 10
Wie aber kommen die Farben und Formen nun auf die Fläche? Rissa arbeitet mit
den klassischen Utensilien der Malerei, mit Staffelei und Malstab, Leinwand und
Pinsel, Grundierung und Ölfarbe. Die Bildkompositionen werden in Zeichnungen
vorbereitet, die von der ersten spontanen Ideenskizze bis zur detaillierten
Vorzeichnung reichen, welche als Unterzeichnung auf die Leinwand übertragen wird.
Der Arbeitsprozess ist äußerst langwierig und zeitintensiv, so dass in einem Jahr nur
wenige Bilder entstehen. »Große Kunst«, sagt die Künstlerin, ist immer »große
Form«. 11 Rissas künstlerische Konzeption basiert auf der Erfindung neuartiger,
betont nichtnaturalistischer und nichtillusionistischer Form-Farbstrukturen. Am
Naturvorbild orientieren sich nurmehr die Außenkonturen der Großformen, die in der
Regel nicht durch Konturlinien, sondern durch die äußere Begrenzung der
Farbformen gebildet werden. Innerhalb der Konturen ist die Malfläche in kleine,
flächig nebeneinandergesetzte Farbfelder aufgeteilt, in Rissas Worten
»Farbschnipsel«, denen jeweils ein bestimmter Farbton zugeordnet ist. Diese
kleinen, die Bildrhythmen bestimmenden Parzellen sind autonom gesetzt; blendet
man die Großform aus, so wirken die Binnenformen wie abstrakte, rein ästhetischen
Gesetzmäßigkeiten folgende Muster. Die Körper und sonstigen Bildfiguren sind ohne
Schatten und ohne illusionistische plastische Modellierung gegeben. Ebenso gibt es
in der Regel keinen illusionistischen perspektivischen Bildraum. Rissa betont, dass
sie eine ausgeprägte »konstruktive Ader« hat, in ihrer Kunst ziele sie daher auf das
»Konstruieren eines eigenen formalen Systems«. So spricht keine Malerin, der es
um eine naturalistische oder um eine sachliche Beschreibung oder um eine
expressive Übersteigerung der Wirklichkeit geht, sondern eine, die in abstrakten und
analytischen Kategorien denkt. Zu ihrem formalen System gehört, dass seit den 80er
Jahren der äußerst präzise, perfekte, glatte Farbauftrag an manchen Stellen durch
»Watscher (Wischer)« aufgebrochen wird, in denen sich die Farben mischen — ein
Hinweis auf das Informel, ja geradezu ein Zitat der Malweise von K. O. Götz. Diese
spontan gesetzten, freien malerischen Fakturen gewinnen in den Bildern der letzten
Jahre mehr und mehr an Bedeutung, wie auch die Kompositionen zunehmend
lockerer und freier werden. Das sei am Beispiel eines Bildes aus den 70er Jahren im
Vergleich mit dem jüngsten Bild in der Ausstellung überprüft.

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Das in diesem Katalog in seiner endgültigen Fassung erstmals reproduzierte Bild
»Der Besuch oder das strenge Gesicht der Fremdheit« schuf Rissa 1970/1978. Wir
blicken in einen bühnenartig konstruierten, zentralperspektivisch organisierten
Innenraum — eine Ausnahme in Rissas Werk —, in dessen Vordergrund zwei
Frauenfiguren einander gegenübersitzen. Sie befinden sich in der Kulisse eines
Mittelschiffes eines Renaissancebaus, dessen Pfeiler, wie auch das
Schachbrettmuster des Fußbodens, den Blick in die Tiefe führen. Dort, gleichsam in
oder hinter der Apsis des Gebäudes, erscheint frontal ein männlicher Kopf, in
dessen Stirn der Fluchtpunkt der Bildlinien liegt. Diesem Gesicht hat Rissa 1978
einen Turban hinzugefügt (daher die beiden Jahreszahlen als Entstehungsdatum).
Während die Architekturteile in großen Flächen wiedergegeben werden, sind die
beiden Figuren und der Männerkopf in der oben erläuterten »Schnipseltechnik«
gemalt. Alle Formen folgen der strengen Bildtektonik, es gibt keinerlei freie
malerische Fakturen. Die Grau-, Brau-, Ocker- und Altrosa-Töne der Architektur
kontrastieren mit den Blau-, Grün-, Gelb- und Hellrosa-Tönen in den Figuren, alle
Farbtöne zusammen ergeben ein harmonisches Kolorit. Durch die Leere des
Bildraumes, die wie schwebend wiedergegebenen Frauenfiguren und das
überdimensionierte Männergesicht wirkt die Szene unwirklich, surreal, wie ein
Traumbild.
Ganz anders das jüngste, 2002 entstandene und mit 260 x 400 Zentimetern größte
Bild in der Ausstellung, »Schlafende Antike«. Ein liegender weiblicher Rückenakt mit
geschlossenen Augen schiebt sich von der unteren linken Bildecke diagonal in den
Bildraum, in dem eine weite Landschaft unter heftig bewegten Gewitterwolken
dargestellt ist. Nur die kräftige Frauenfigur und die drei Bäume am Horizont sind in
der für Rissa typischen Technik wiedergegeben, dagegen Landschaft und Himmel in
einer lockeren, offenen, die breiten Pinselzüge erkennen lassenden Malweise. Im
Vergleich zu den meisten anderen Arbeiten hat Rissa dieses Bild zügig gemalt. Für
den Himmel, die Landschaft und die Bäume benötigte sie jeweils rund einen Tag, für
die Figur circa vier Wochen. Nur die Figur, die Horizontlinie und die Bäume wurden
vorher durch eine Unterzeichnung angelegt und auf die stehende Leinwand gemalt,
die übrigen Bildelemente ergaben sich spontan im Malprozess, während die
Leinwand flach auf dem Boden lag. Bildaufbau und Malweise haben sich im
Vergleich zu »Der Besuch oder das strenge Gesicht der Fremdheit« stark
gewandelt. Neben der »harten« Form werden in »Schlafende Antike« nun auch dem
Informel entlehnte freie malerische Fakturen dem gegenständlichen Ausdruck
einverleibt. Auch das Kolorit ist von der gedeckten Farbigkeit im Bild »Der Besuch
oder das strenge Gesicht der Fremdheit« weit entfernt. In »Schlafende Antike« wird
die Farbigkeit durch den starken Kontrast der Grau-in-Grau-gemalten Figur —
gemeint ist eine Steinskulptur — mit den leuchtenden Grüntönen und dem satten
Zitronengelb in Landschaft und Rapsfeld und den Blau- und Violettönen in Himmel
und Wolken bestimmt. Dieser Kontrast wird durch die Wirkung des innerbildlichen
Lichts und des auf die Leinwand treffenden Raumlichts noch eindrucksvoll
gesteigert. Das Bild stellt ohne Zweifel einen Höhepunkt in Rissas künstlerischem
Schaffen dar.

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Rissa hat ihre Farbsystematik in Auseinandersetzung mit Malern wie Seurat, van
Gogh und Cézanne, aber auch Grünewald und Vermeer entwickelt. Ihre Werke
zeigen eine breite Farbpalette, mit Vorliebe experimentiert die Künstlerin mit
unterschiedlichsten Kontrasten, wobei der Hell-Dunkel-Kontrast fast immer eine
wichtige Rolle spielt. So stellt Rissa in »Bedenke das …« von 1983 und »Am Golf«
von 1991 leuchtende Primär- und Sekundärfarben gegen dunkle Erdtöne. Ganz
anders das Bild »Der Schläfer« — das Bild datiert von 1994, doch wie anders klingt
sein harmloser Titel seit dem 11. September 2001 in unseren Ohren —, das sich
durch eine gedämpfte, wie verschleiert wirkende Farbigkeit in Grau-, Ocker- und
Rosatönen auszeichnet. Der Blick auf die jüngsten Arbeiten Rissas zeigt, dass die
Farbigkeit, sei es durch ungewöhnliche Farbwahl und -kombinationen, sei es durch
starke Kontraste, immer mehr in den Vordergrund rückt. Das belegt nicht nur
»Schlafende Antike«, sondern auch das ebenfalls 2002 entstandene Gemälde
»Schnurren«, in dem sich die dunkle Hand vor dem leuchtend roten Hintergrund und
dem Motiv des Katzenkopfes abhebt. Ein leuchtend roter Bildfond findet sich auch in
den Bildern »Falk« aus dem Jahr 2000 und »Gabe des Denkens« von 1998. Dunkle
Bildgründe bestimmen hingegen die Bildwelten in »Glücksfall« von 1995 und
»Entladung« von 1999.
Wenden wir uns nach der Betrachtung der formal-ästhetischen Aspekte nun der
inhaltlich-thematischen Seite in Rissas Malerei zu. Bei der Findung ihrer Bildideen
greift Rissa auf den Zufall zurück: »Entweder ist es eine ungewöhnliche, selten
beachtete Situation im Alltag, die mir schlagartig auffällt und spontan, d. h. in
Sekundenschnelle, in mir eine Bildidee auslöst. Oder ich nutze den Zufall, indem ich
konstruktiv vorgehe, d. h. ich addiere und koordiniere zufällige visuelle Einfälle in
ungewöhnlicher Weise, Einfälle, die ich zu verschiedenen Zeitpunkten hatte.« 12 Die
gesamte visuelle Welt dient Rissa dabei als Auslöser, Quelle und Vorbild für ihre
Kunst: zum einen die Anschauung der Dinge selbst, zum anderen Medien wie
künstlerische oder triviale Photographien, Fernsehbilder und Werke oder Motive aus
der Kunstgeschichte. Entscheidend ist dann jedoch die Verdichtung und
symbolische Überhöhung der Bildmotive zu Szenen von vielschichtiger,
mehrdeutiger, allgemeingültiger Thematik. Das unterscheidet Rissas Bildwelten
eklatant von denen der Pop-art, mit der die Künstlerin oft fälschlich in Verbindung
gebracht wird. Denn mit der banalen Gegenständlichkeit, der aus Konsumwelt und
Trivialkultur gespeisten Motivik und der optimistisch-affirmativen Weltsicht der Pop-
art haben Rissa Bildinhalte nichts gemein. Ganz im Gegenteil: Es sind ein düster-
melancholisches Sentiment und ein kritisch-skeptischer Geist, die Rissas Kunst
zugrundeliegen. »Schlafende Antike« beispielsweise erzählt voller Trauer vom
Verlust des kulturellen Erbes in unserer Gesellschaft.

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Welche Themenkreise lassen sich in Rissas Leinwandbildern, ihren Gouachen und
Zeichnungen ausmachen? Viele Werke behandeln uralte Menschheitsthemen wie
Eros (»Géricaults Katze«), die Beziehung von Mann und Frau (»Der Schläfer«), von
Mutter und Kind (»Amme Emma«; »Goldjunge«) oder von Tier und Mensch
(»Glücksfall«; »Falk«; »Schnurren«), andere erzählen von seelischen Zuständen wie
Angst, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit (»Gescheiterte Hoffnung«) oder von
Leben und Tod (»Bedenke das …«; »Vanitas«). Bisweilen klingt Autobiographisches
an. So verarbeitet Rissa 1999 im Bild »Polyamid« eine Zeit der Krankheit. Das
Gemälde zeigt einen geflügelten weiblichen Rückenakt in einem Korsett, auf dessen
Material der Titel verweist. Die Krankheit wird durch die schwarze Schicksalshand
symbolisiert, die von rechts kommt und auf das Rückgrat der Frau deutet, sowie
durch die gestutzten Flügel. Andere Bilder wiederum beziehen sich auf globale
Probleme wie Hunger und Elend in der Dritten Welt (»Speise der Weißen«) oder
auch auf Krieg. Zu den letzteren zählt »Am Golf« von 1991. Zwei Fische
repräsentieren das Leid, das der Krieg der Kreatur zufügt, die gelb-roten Partien
erinnern an lodernde Flammen und rufen damit die Bilder der brennenden
kuwaitischen Ölquellen ins Gedächtnis. Auch wenn sich Rissa nicht als politische
Malerin versteht, so greift sie doch immer wieder konkrete historisch-politische
Ereignisse auf, die sie freilich immer zu allgemeingültigen Metaphern umdeutet.
»Jonction« zum Beispiel, ebenfalls 1991 gemalt, reagiert auf die deutsche
Wiedervereinigung, »T hoch 3« von 2001 verarbeitet die Ereignisse des 11.
September 2001. Doch wir sehen hier nicht etwa die brennenden Türme des World
Trade Center, sondern eine verletzte, am Boden liegende Frau, die ihren linken Arm
dem Betrachter entgegenstreckt, stumm um Hilfe flehend. Zeitloses Opfer
allgegenwärtiger Gewalt. Es bleibt dem Betrachter überlassen, die im Titel
genannten »T« aufzulösen und dabei an Terror, Tod und Teufel oder ähnliches zu
denken. Daneben malt Rissa skurrile, groteske, rätselhafte, manchmal geradezu
surreal anmutende Szenen wie etwa im oben erwähnten Bild »Der Besuch oder das
strenge Gesicht der Fremdheit« von 1970/78 oder in »Begrüßung« aus dem Jahr
1992.
Rissas eigenwilliger Gegenstands-, Figuren- und Symbolwelt ist etwas Magisches
eigen, etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes, Poetisches. Der Betrachter braucht viel
Zeit, um sich in die fremden und befremdenden Bildwelten einzufühlen, die nicht
selten irritieren, bisweilen gar schockieren und abstoßen. Rissas Bilder sind, um es
einmal gänzlich unwissenschaftlich auszudrücken, durch und durch ungemütlich
(und die deutsche Gemütlichkeit ist ja sprichwörtlich). Das sieht niemand klarer als
die Künstlerin selbst: »Meine Bilder sind nichts für die Wohnstube«. Woran liegt
das? Da sind die kühle Perfektion und harte Präzision der Malerei, die den Bildern
eine kalte Aura verleihen. Da sind die schattenlosen Körper, die keine Plastizität
besitzen, sondern flach und unwirklich wirken. Aber da sind zugleich eine
faszinierende formale Prägnanz, eine reiche, noch nie gesehene Malerei, die Geist
und Sinne stimuliert und intellektuelle und visuelle Erlebnisse auszulösen vermag.
Und da ist das Empfinden, dass das, was Rissa in ihren einzigartigen Bildern
anschaulich macht, auf ganz eminente Weise mit unserem Leben zu tun hat. So
bringt Rissas Kunst in der Tat, wie Gadamer im eingangs zitierten Satz ausführt,

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»als das Eine, das es ist, eine ganze Art, ein ganzes Allgemeines zur Darstellung«.
Aus Alltagsbeobachtungen abgeleitete, symbolisch verdichtete Bildthemen des
modernen Menschen darstellend und in einer originären, unverwechselbaren
Bildsprache formuliert, ist Rissas gegenständliche Malerei ganz gegenwärtig.

 

1. Jeder Mensch ist ein Kosmos. Jean-Christophe Ammann über Malerei und Lebensraum, in: Kunstzeitung, Nr. 75, November 2002, S. 15.
2. Hans-Georg Gadamer, Der Kunstbegriff im Wandel, in: Anne-Marie Bonnet/Gabriele Kopp-Schmidt (Hrg.), Kunst ohne Geschichte? Ansichten zu Kunst und Kunstgeschichte heute, München 1995, S.88-104, hier S. 103.
3. Vgl. etwa Michael Hübl, Das Märtyrer-Medium. Bemerkungen zum jüngsten Malerei-Revival, in: Kunstforum International 162, 2002, S. 176-183. Vgl. zum Thema Malerei auch Johannes Meinhardt, Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, Ostfildern-Ruit 1997.
4. Vgl. das Werkverzeichnis der Papierarbeiten: Wolfgang Zemter (Hg.), Rissa. Arbeiten auf Papier 1955-1998, Bönen 1998.
5. Zitiert nach: Rissa. Gemälde und Zeichnungen, Ausstellungskatalog der Galerie Axiom, Köln 1978, ohne Seite.
6. Vgl. Christoph Zuschlag/Hans Gercke/Annette Frese (Hgg.), Brennpunkt Informel. Quellen — Strömungen — Reaktionen, Ausstellungskatalog Heidelberg 1998/99, Köln 1998.
7. Vgl. Hans Platschek, Neue Figurationen. Aus der Werkstatt der heutigen Malerei, München 1959.
8. Vgl. Lazlo Glozer, Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939, Ausstellungskatalog Köln 1981, S. 234-283.
9. Jörg Immendorff, Hört auf zu malen, 1966, Kunstharz auf Leinwand, 135 x 135 cm, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven.
10. Rissa, in: Lothar Pues/Edgar Quadt/Rissa (Hgg.), Art-Investor. Handbuch für Kunst und Investment, München 2002, S. 606.
11. Wörtliche Zitate Rissas, die nicht anderweitig nachgewiesen sind, entstammen einem am 18. Dezember 2002 in Niederbreitbach-Wolfenacker geführten Ateliergespräch