Ina Hesselmann

Ich schätze Rissa sehr.

Wie die meisten Besucher des Hauses Götz habe ich Rissa kennengelernt als Ehefrau von K.O. Götz. Ich war zu K.O. Götz gekommen, um ihn kennenzulernen und mich mit ihm und seiner Malerei zu beschäftigen. Aufgrund seines weit fortgeschrittenen Alters und gesundheitlichen Zustandes führte ich im Laufe der Zeit das Gespräch aber immer mehr mit Rissa als mit K.O. Götz selbst. Es ist sehr bewundernswert, wie sie zum Sprach- rohr ihres Mannes wurde. Sie wusste genau, was er denken und sagen würde, nach fast 50 Jahren Ehe, in denen es zwischen den beiden einen intensiven Austausch zu Kunst und Gesellschaft gegeben hatte. Die beiden haben nicht nur zusammen gelebt, sondern auch zusammen gearbeitet, geschrieben und gedacht. Rissa hat sich die Essenz seines künstlerischen Werkes angeeignet als wäre es ihr eigenes, sie hat sich diesem voll und ganz gewidmet und sich dabei selbst zurückgestellt. Sie kümmerte sich nicht nur um seine Bilder, sondern bis zu seinem Tod 2017 auch um ihn selbst. Ich wage zu sagen, dass K.O. Götz nicht 103 Jahre alt geworden wäre, wenn er nicht Rissa an seiner Seite gehabt hätte, die ihn mit Nachdruck und Disziplin zum Essen, zum Schlafen, zur Gymnastik, aber auch zum Malen und Sprechen, ja sogar zum Denken angetrieben hat. K.O. Götz hatte bis zu seinem Tod teil am Leben, und das hat er zu großen Teilen Rissa zu verdanken.

Bald haben wir auch nicht nur über K.O. Götz besprochen, sondern im wahrsten Sinn des Wortes über Gott und die Welt.

Ich schätze Rissa als Gesprächspartnerin, und sie ist eine anstrengende Gesprächspartnerin. In den Gesprächen kann man sich nicht zurücklehnen und ihr zuhören. Man muss immer darauf gefasst sein, mit einer Frage überrumpelt zu werden, die man nicht erwartet hat, entweder weil sie sehr privat, intim ist oder das, was man als politisch und gesellschaftlich unkorrekt bezeichnen würde. Rissa stellt Fragen, die Tabuthemen ansprechen, deren Antworten in großen Teilen der Gesellschaft totgeschwiegen werden. Und sie will Antworten: Ausflüchte, Rumdrucksen oder Ausweichen duldet sie nicht, sie bohrt nach, treibt ihr Gegenüber in die Enge, bis sie eine Antwort hat, mit der sie zufrieden ist. Sie will mit ihren Fragen niemanden verärgern oder bloßstellen, vielleicht ein bisschen provozieren, aber vor allem ist es ihr ehrliches Interesse und es dient ihrer Informationsbeschaffung. Aus den Antworten der unterschiedlichen Gesprächspartner setzt sie sich ihr Weltbild zusammen. Dabei kommen ihre Gesprächspartner aus allen gesellschaftlichen Schichten, teils sind es Freunde oder Bekannte, aber auch Menschen, die einfach zufällig da sind, der Briefträger, der Bofrost-Lieferant, die Bankberaterin, die Angestellte bei Aldi. Heute liebe ich die Gespräche mit Rissa, aber als ich sie vor einigen Jahren kennengelernt habe und mich ihre Fragen noch sehr überrascht haben, war ich immer fix und fertig, als ich nach Hause kam.

Ich schätze Rissa als Lehrerin. Nicht nur als Professorin für Malerei an der Kunstakademie in Düsseldorf, sondern auch privat als Lehrerin für Kunstgeschichte und -theorie, Psychologie, Religion, Politik und Geschichte überhaupt. Rissa ist es ein großes Bedürfnis und, wie es scheint, auch eine große Freude, besonders jungen Menschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu vermitteln. Sie unterrichtet nicht trocken und langweilig, sondern eigentlich merkt man gar nicht so richtig, dass sich aus einem Gespräch, das ganz simpel angefangen hat, ein Vortrag von ihr anschließt, der besser ist als jede Schulstunde oder Vorlesung in der Universität. Rissa hat eine Gabe, Sachverhalte
so anschaulich zu erklären, dass man auch die kompliziertesten Zusammenhänge verstehen kann. Immer gibt es einen direkten Bezug zur Gegenwart, von dem man im besten Fall noch selbst betroffen ist. Das anschauliche Denken ist ihr besonders bei der Betrachtung von Kunst enorm wichtig. Sie hält nichts von den unzähligen Texten von Kunsthistorikern, bei denen man am Ende gar nicht weiß, wie das Bild, welches sie beschreiben, nun aussieht, und was das Bildkonzept ist. Sie verstrickt sich nie in irgend- welche philosophischen Exkurse. Bei ihr geht es um die Form, die Komposition, die künstlerische Umsetzung, alles wird direkt am Bild veranschaulicht. Das ist besonders wichtig für die Betrachtung abstrakter und informeller Bilder, lässt sich aber auch auf die formale Gestaltung von gegenständlichen Bildern anwenden. Erst durch Rissa habe ich gelernt, Bilder richtig zu betrachten und sie formal zu verstehen.

Ich schätze Rissa als Mensch in unserer Gesellschaft. Sie interessiert sich für die verschiedensten Themen, natürlich für Kunst, für Politik im In- und Ausland, für Umweltschutz, für Religionen, für die verschiedenen Gesellschaftsformen in den verschiedenen Ländern. Ich kenne wenige Menschen, die in so vielen unterschiedlichen Gebieten interessiert und informiert sind und die auch mit fast 80 Jahren jede Form der Informationsbeschaffung nutzen. Sie liest unzählige Bücher, schaut sich viele Dokumentationen im Fernsehen an, recherchiert im Internet, sie telefoniert und sie führt ganz analog viele direkte Gespräche. Dabei interessiert sie sich nicht nur für ihr direktes Umfeld, sondern auch dafür, was in ganz Deutschland und in der Welt geschieht, im Besonderen in China, Afrika und in der arabischen Welt. Sie ist wissbegierig wie ein kleines Mädchen und wird nicht müde, diesen Wissensdurst zu stillen. Sie betrachtet die Situationen differenziert und aus verschiedenen Standpunkten und bildet sich dann eine Meinung, die sie sich auch nicht scheut zu äußern. Sie ist keine Politikerin, aber sie versteht sich als verantwortungsvolles Mitglied der Gesellschaft mit der Aufgabe, diese aktiv mitzugestalten. Ich wünsche mir mehr solche Menschen in unserer Demokratie, zu einer Zeit, in der es auf jede qualifizierte Stimme ankommt.

Aber Rissa ist auch Künstlerin, Malerin genauer gesagt. Ich kenne Rissa jetzt seit sieben Jahren, ich habe unzählige Stunden mit ihr verbracht, haben wir über Kunst, andere Künstler und den Lauf der Welt geredet, aber nie über ihre eigenen Bilder. Sie hat ihre Kunst nie in den Vordergrund gestellt, hat sie mir nie aufgedrängt, ja sie hat mir ihre Bilder noch nicht einmal wirklich zeigen wollen. Außer jenen, die im Hause Götz an den Wänden hängen, waren mir ihre Bilder bis jetzt wenig bekannt. Das liegt wohl auch daran, dass ihre Bilder eben nicht so einfach sind, sie sind nicht leicht zu verstehen und noch schwerer einzuordnen. Ich muss zugeben, dass mich das abgeschreckt hat und dass ich mich bis jetzt immer etwas davor gescheut habe, mich mit Rissas Werk eingehender auseinanderzusetzen.

Seit 1955 malt Rissa gegenständlich. In der Zeit zwischen 1960 und 1963 tendierte sie zum Informel, anschließend hat sie sich auf die Suche nach einem eigenen gegenständlichen Malstil begeben. Dabei hat sie es sich nicht leicht gemacht. Sie hat die Kunstgeschichte und die aktuelle Kunstszene studiert und genau ausgelotet, welchen freien Platz sie mit ihrer Malerei füllen kann. Sie suchte neue, ungewöhnliche inhaltliche Verbindungen und eine neue Malstruktur, die es vorher noch nicht gegeben hatte. Was sie damals vom Informel und von ihrem Lehrer K.O. Götz gelernt hat, ist der freie und experimentelle Umgang mit Farbe, Form und Inhalt. Bei der Farbwahl zum Beispiel geht Rissa sehr analytisch vor. Ihr geht es um klar voneinander abgegrenzte Farbtöne, die in möglichst vielen verschiedenen Kombinationen nebeneinandergesetzt werden, ohne sich miteinander zu vermischen, daher ihre typische Malweise in kleinen aneinander angrenzenden, unregelmäßig geformten Farbfeldern. Sie liebt die klare Wirkung von Farbkontrasten, von Primär-, Sekundär- und/oder Tertiärfarben, zudem auch eine Gegenüberstellung mit ganz schwarzen und weißen Bildpartien. Diese Kontrastierung oder Gegenüberstellung setzt sich auf der kompositorischen Ebene fort. Man findet immer Bilder von ihr mit verschiedenen Figurenkombinationen: einmal Bilder mit einer Person und einem Tier oder eine Person mit ein oder zwei Gegenständen oder einfach zwei Personen, die in einem ganz besonders verschlüsselten Bedeutungszusammenhang stehen. Diese Motive sind dann manchmal horizontal oder vertikal angeordnet. Rissa verfolgt in ihren Bildern also auch wiederkehrende Kompositionsschemata. Zum Beispiel sehen wir bei dem Bild „Die Feinde“ (1967) zwei Männerköpfe horizontal angeordnet. Vertikal zueinander hingegen sind der Frauenkopf und der Männerkopf bei dem Bild „Der Schläfer“ (1994) positioniert. Gegensätze oder Zusammenhänge werden oft auch in der Farbwahl betont. Die Feinde sind ein schwarzer Männerkopf rechts und ein weißer Männerkopf links, die in ihrer Physionomie (Zeichnung) aber völlig identisch sind, der Hintergrund links ist rot und rechts fast weiß. Das Bild „Amme Emma“ (1981) zeigt ein schwarzes Baby links und eine weiße Frau mit entblößter Brust rechts. Das verbindende Element dieser beiden Pole ist die ebenfalls schwarze Brustwarze. Das schwarze Baby steht dabei für den afrikanischen Kontinent, der von der westlichen Welt, also von Europa und Amerika (Amme Emma lässt sich hier als lautmalerisches Wortspiel verstehen) genährt wird. Der Hintergrund ist in einem flächigen Grau gehalten. Die einzigen chromatischen Farben finden sich an der Bekleidung der Frau, welche hinter der Brust über ihrem Arm liegt. Dies symbolisiert den Reichtum der westlichen Welt gegenüber der Armut Afrikas. Die Verzahnung von Form und Inhalt gehört zu den besonderen Merkmalen von Rissas Malerei. Andererseits stehen aber sowohl der Inhalt, also das Thema des Bildes, als auch die Form für sich. Die Thematik ihrer Bilder ist so essentiell, dass ich eine ganze wissenschaftliche Abhandlung darüber schreiben könnte oder auch einen Roman. Dabei beweist sie große Sensibilität für Themen und Probleme, die bis heute höchst brisant sind und sich gegenüber den 1980er- und 1990er-Jahren eher noch zugespitzt haben. Das Verhältnis von Afrika zu Europa und umgekehrt wird gegenwärtig wegen der Flüchtlingskrise in Europa viel diskutiert. Trotzdem sind und werden damit die Spannungen zwischen Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe und unterschiedlichen Weltanschauungen in allen Teilen der Welt noch lange nicht behoben. Der Terror durch den Islamismus, wie Rissa ihn in dem Bild „T hoch 3“ (2001) thematisiert hat, und die Diskussion über die Verschleierung der muslimischen Frau, wie sie in dem Bild „Kairuan 1930“ (2000) unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten von1930 zu sehen ist, nahm in Deutschland um die Jahrtausendwende erst ihren Anfang. Auch die Folgen von Krieg und Umweltverschmutzung, die Veränderungen in Gesellschaft und Familie, das Verhältnis zwischen Mann und Frau und die Position der Frau zwischen Modernität, Emanzipation auf der einen und Unterdrückung und Objekt sexuellen Begehrens auf der anderen Seite, das sind Themen, die Rissa seit den1960er-Jahren beschäftigen. Und ich denke, nicht nur sie sollte diese Thematik beunruhigen, sondern Deutschland und alle Gesellschaften heute auf der Welt sind aufgerufen, ihren Teil zu Freiheit, Frieden und Wohlstand für alle Menschen beizutragen. Mir ist in den Jahren seit unserem Kennenlernen aufgefallen, dass Rissa mit ihren Gedanken in vielen Bereichen der gesellschaftlichen Weltentwicklung als eine Vorherseherin und Vordenkerin bezeichnet werden kann.

Die Themen ihrer Bilder bezeichnet Rissa im Titel nie direkt, sondern umschreibt sie, deutet sie nur an, sodass sie nicht offensichtlich und plakativ sind. Auch die Motivik erschließt sich dem Betrachter in der Regel nicht sofort, wenn überhaupt. Die Bilder werfen mehr Fragen auf als sie Antworten geben. Wieder zum Bild „Die Feinde“: Ein schwarzer und ein weißer Männerkopf mit derselben Physionomie stehen auf kontrastierendem Hintergrund nebeneinander. Welchen Titel würde man erwarten? Vielleicht Gleiches im Ungleichen, aber das wäre zu abstrakt, vielleicht Gegensätze überwinden? Oder vielleicht–in Zeiten, in denen Völkerverständigung ganz groß geschrieben wird – Die Freunde? Aber nein, Rissa nennt das Bild Die Feinde. Der Betrachter ist schockiert, das darf es nicht geben, so etwas sagt man doch nicht, das ist Rassismus, Diskriminierung, das widerspricht dem Gleichheitsgedanken. Aber das ist typisch für Rissa, sie provoziert, aber aufgepasst: nur auf den ersten Blick. Denn ihre Tabuthematik ist meist in einem Geflecht von vertrackten Nebendeutungen versteckt, die den Betrachter ihrer Werke zum Nachdenken einlädt, vielleicht einmal anders herum zu denken. Besonders klar wird das bei dem Bild „Die Feinde“. Wenn man genau hinschaut, dann weist der links auf dem Bild rosig gemalte Männerkopf die gleiche negroide Zeichnung auf wie der rechte, braundunkel gemalte Kopf eines Afroamerikaners. Damit will sie sagen: Passt auf, ihr Betrachter dieses Bildes, in jedem Menschen steckt von Urzeiten her entwicklungsmäßig noch ein bisschen Afrikaner. Gerade diese Doppeldeutigkeit im Weltgeschehen interessiert sie, um zu sagen: Sieh an, die Welt ist nicht so einfach, wie wir sie gerne hätten. Rissa ist eine bekennende Skeptikerin, die Gutrederei, das „Das wird schon“-Gerede oder seit Neustem das „Wir schaffen das“, das sind für sie nur Worthülsen. Ihre Traurigkeit über die Welt ist nicht nur oberflächlich, sie leidet regelrecht darunter. Der Unterscheid zu anderen melancholischen Menschen ist, dass Rissa das nicht fatalistisch hinnimmt, sondern dass sie gerade deswegen einen bemerkenswerten Kampfgeist entwickelt hat, mit dem sie sich bis heute für eine bessere, aufgeklärte Gesellschaft einsetzt, und das tut sie auch mit ihren Bildern, obwohl sie natürlich weiß, dass das Bildermalen noch kein Unglück verhindert hat.

Wenn man Rissa kennt und weiß, welche Themen sie beschäftigen, kann man einiges aus ihren Bildern erahnen. Wenn man sie fragt, bekommt man einige Antworten, aber sie entlässt den Betrachter nicht wissend und zufrieden. Er ist nicht befreit vom selbstständigen Mit- und Weiterdenken. Sie möchte, dass die Betrachter erstmal ratlos vor ihren Bildern stehen, genau hinsehen und nachdenken. Ich glaube auch, dass sie es gut findet, wenn man ihr Fragen zu ihren Bildern stellt, erstens natürlich, weil sie gerne erklärt, was sie sich dabei gedacht hat, aber auch um der Fragen willen. Sie sind für sie ein Weg, auch etwas über den Betrachter zu erfahren, wie er denkt, was er weiß und was ihn umtreibt. Sie interessiert sich für die Menschen, die sich für ihre Malerei interessieren. Dabei kann sie es durchaus ertragen, wenn ihr jemand sagt, er finde eines ihrer Bilder nicht schön oder sogar grausam. Dann würde sie lachen und antworten, ja, das ist es auch. Sie haben Recht, aber das ist die Realität, so ist die Welt, und so ist das Leben.

Die meisten der Bilder würde man tatsächlich nicht als schön im Sinne von hübsch, harmonisch, ausgewogen bezeichnen. Sie sind interessant, faszinierend, einige sind auch abschreckend, beängstigend und verstörend. Die abstrakten und informellen Bilder, von denen ich vor allem spreche, haben den Vorteil, dass man sich „nur“ mit den Formen, Kompositionen, Farben und Materialien befassen muss. Vereinfacht gesagt: Wenn man nichts erkennt, ist das genau richtig. Bei Rissa erkennt man die dargestellten Gegenstände und kann sie in der Regel auch benennen, versteht sie aber trotzdem nicht, und das ist für den Betrachter zunächst höchst unbefriedigend. Das genau ist Rissas Taktik, sie will ihr Gegenüber zum Denken anregen. Für sie ist selbstständiges, aufgeklärtes Denken das höchste Gut unserer Existenz.

Je länger ich über Rissas Bilder schreibe, desto bewusster wird mir, dass es gar nicht
so wenig ist, was ich über die Werke zu sagen habe. Die Bilder sind einfach unglaublich authentisch, sehr persönlich und ehrlich. Rissa hat es geschafft, eine Malerei zu entwickeln, die 100-prozentig ihrer Persönlichkeit entspricht, ohne dass sich ihre Malerei im Subjektivismus verlieren würde. Die Bilder sind nicht einfach, aber erfrischend echt, in einer Welt, in der es oft mehr Schein als Sein gibt.

Ina Hesselmann
Geboren 1985 in Mettingen
Kunsthistorikerin, Stiftung Informelle Kunst, Darmstadt, lebt in Düsseldorf