Nikolas Werner Jacobs

IN ERWARTUNG GEHEIMNISVOLLER WUNDER. RISSA ZUM 80. GEBURTSTAG

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hatte ein Prinzip bei der Auswahl der Objekte seiner Kritik: Werke von befreundeten Schriftstellern wie etwa Siegfried Lenz besprach er nicht, um nicht in Verdacht zu geraten, Freundschaftsprosa zu verfassen oder in die Verlegenheit zu kommen, einen ihm lieben Menschen durch seine Kritik verletzen zu müssen.

Nun bin ich kein Reich-Ranicki, dessen Texte und Urteile vergleichbares Gewicht haben. Aber bei einem jungen Kunsthistoriker, der sich in besonderer Zuneigung einer Künstlerin verbunden fühlt, können doch Zweifel an seinen Motiven und seiner Objektivität aufkommen, wenn er über deren Werke schreibt. Doch in diesem speziellen Fall betrachte ich es als Pflicht darzulegen, welche Qualität ich in den Arbeiten meiner Freundin Rissa ausgemacht zu haben meine. Es ist nämlich an der Zeit, dass noch mehr Menschen Rissas Kunst sehen und entdecken.

Wie wohl viele bin ich auf Rissa über ihren Mann aufmerksam geworden. Mit 15 Jahren erhielt ich ein Paket als Antwort auf einen im jugendlichen Übermut verfassten Brief an K.O. Götz, in dem sich neben einigen freundlichen Zeilen auch Kunstpostkarten von Arbeiten von Götz und Rissa befanden. Manchem erschließt sich Rissas Kunst intuitiv und unmittelbar, manche müssen sich erst in ihre originären Bildwelten einsehen. Für mich galt Letzteres, denn obwohl mir die Abbildungen ihrer Werke gefielen, war mein Auge zu sehr auf das Erkennen bereits bekannter Stile konditioniert, um die bemerkenswerte Eigenart ihrer Kunst angemessen würdigen zu können.

Vor Ort in Wolfenacker, in direktem Kontakt mit den Originalen im Haus und im Atelier, setzte dann jedoch ein bis heute andauernder Prozess ein. Wenn die für den Betrachter fruchtbare Widerspenstigkeit von Kunstwerken als ein Kriterium für gute Kunst betrachtet werden kann, dann muss Rissas Malerei als bedeutend angesehen werden. Auch wenn ihr Werk quantitativ überschaubar geblieben ist, so gibt es immer wieder einzelne Arbeiten oder Werkgruppen, die ich neu für mich entdecke oder unter anderen Vorzeichen wahrnehme. Kurz gesagt: Diese Bilder lassen mich nicht in Ruhe, sie erzeugen in mir eine produktive Unruhe. Was ließe sich Schöneres über Kunst sagen?

Den leichtesten Zugang zu Rissas Kunst erhält man über ihre Zeichnungen, die zum Besten gehören, was die figurative Kunst der Bundesrepublik hervorgebracht hat. Denn ihre Begabung ist im Kern eine grafische, indem sie mit wenigen Linien einen Gegenstand auf sein Wesentliches reduziert. Ich habe vor einigen Jahren einen Aufsatz über die Parallelen zwischen den auf den ersten Blick so gegensätzlichen Werken von Rissa und K.O. Götz geschrieben und hatte dabei diesen wichtigsten Aspekt übersehen: Beide Künstler entwerfen ihre Werke zunächst in Schwarz-Weiß-, in Positiv-negativ-Kompositionen. Anders jedoch als ihr Mann, bei dem Farbe bis auf wenige Ausnahmen meist nur dekoratives Beiwerk blieb, reichert Rissa ihre Zeichnungen um Farbakzente an, die neben einer delikaten Eleganz oft auch symbolische Wirkung entfalten.

Obwohl sie mit ihrer Kunst im Kern immer wieder eine formale Erneuerung und malerische Innovationen anstrebt, sind es zunächst vor allem die eigentümlichen Ikonografien, die den Betrachter in ihren Bann ziehen. Götz’ künstlerisches Credo, dass er mit seiner informellen Malerei „in Erwartung blitzschneller Wunder“ sei, lässt sich nur leicht 109 IN ERWARTUNG GEHEIMNIS RISSA ZUM 80. GEBURTSTAG abgewandelt auch für Rissa treffend verwenden: Mit ihrer Malerei ist sie in Erwartung geheimnisvoller Wunder. Diese Geheimnisse treten einem in Form von unerwarteten Personen- und Objektarrangements gegenüber. Warum hängt ein Stück Fleisch an einer Wäscheleine? Zermalmt ein Koch seine Hand im Fleischwolf oder drückt er das Fleisch nur mit der Faust hindurch? Und was hat es mit der blühenden Rose anstelle der Brust einer engelsgleichen Frau auf sich? Versteckt sich darunter etwas Schreckliches? Gerade in den Gemälden wird deutlich, dass neben der formalen Stringenz die inhaltliche Ebene eine wichtige Rolle in ihrer Kunst spielt. Die Themen stammen aus der Geschichte, der Mythologie und der Politik, doch immer wieder finden sich auch Inhalte, die einer originären Rissa-Ikonografie entspringen. Es handelt sich dabei oft um alptraumhafte Szenen von nüchtern geschilderter Gewalt und kühler Erotik, die eindeutig das Uneindeutige beschwören und sich somit letztlich einem Narrativ oder einer Entschlüsselung entziehen. Darin liegt eine besondere Ironie: Rissa, der die Freud’sche Psychoanalyse schon immer suspekt war, versteht es wie kaum ein anderer Künstler, die Magie hinter unseren unbewussten Ängsten und Sehnsüchten darzustellen.

In der Art, wie Rissa Menschen und Objekte darstellt, spiegelt sich ihr rational-analytisches Temperament. Sie stellt Erotik so elegant und kalt dar wie Richard Lindner, und ihre mal anthropomorphen, oft magischen Objekte sind so wenig passiv und harmlos wie die eines Konrad Klapheck. Geschlechterrollen zeigt sie manches Mal androgynuneindeutig, oft aber auch in klaren Gegensätzen. Dabei ist ihre Darstellung der Erotik zwischen Männern und Frauen immer ambivalent: So lustvoll Thema und Motiv auch sein mögen, so nimmt man diesen Frauen mit ihrem wallenden langen Haar, den breiten Hüften und vollen Brüsten in ihrer Erstarrung die Lust nicht ab. Es sind Vanitas-Motive, die dem Betrachter als Vexierbilder neben der Erotik und körperlichen Schönheit auch Gewalt und Tod vor Augen führen.

Manche dieser Bildschöpfungen von Rissa sindw schon vor einem halben Jahrhundert entstanden, aber man staunt vor ihnen ob ihrer Frische und ungebrochenen Aktualität. Ist nicht seit Langem von der Krise der Malerei die Rede? Davon kann nur sprechen, wer Malerei wie die von Rissa noch nicht gesehen hat oder noch nicht zu sehen gelernt hat. Es ist längst Zeit, ihren Bildkosmos wieder zu entdecken und ihm in der Kunstgeschichte jenen Stellenwert einzuräumen, der ihm zusteht. Möge diese Ausstellung den Anstoß für eine Neubewertung geben.

Nikolas Werner Jacobs
Geboren 1990 in Wiesbaden
Doktorand der Kunstgeschichte,
Ludwig-Maximilians-Universität München
Wohnt in München und Wiesbaden