Rissa

„Über meine künstlerische Konzeption“

(Text vom 19.11. 2018, erstellt auf Wunsch von Willi Kemp)

Willi Kemp, der Kunstsammler und langjährige Freund von K.O. Götz und mir, bat mich kürzlich, ein paar Gedanken zu meiner künstlerischen Konzeption aufzuschreiben.

Vor meiner Akademiezeit von 1957 bis 1959 habe ich privat im Geiste expressiver und konstruktiv-kubistischer Malweise einfache figurative Arbeiten nach der Natur (Landschaften und Figuren) auf Papier gemalt. Ab 1960 war ich bis 1965 an der Kunstakademie Düsseldorf eingeschrieben. Dort begegnete ich dem informellen Maler K O. Götz, der von Anfang an auch mein Lehrer (und später mein Ehemann) wurde. Daher reizte es mich auch, für eine kurze Zeit mit gegenstandslos-informellen Strukturen zu arbeiten. So entstand von mir bis 1963 eine Reihe von klein- und großformatigen gegenstandslos-informellen Gouachen. Da K.O. Götz von seinen Paris-Reisen einige interessante surrealistische Kataloge nach Westdeutschland mitgebracht hatte, lernte ich gleichzeitig die verschlüsselt-poetische Semantik des Surrealismus und des Dadaismus kennen. Somit bekam ich in dieser Zeit in der Kunst der Malerei einen tiefen Einblick in eine (vom Realismus oder Naturalismus befreite) unbekannte, semantisch-neue Welt.

Sie gefiel mir ungemein, da sie der menschlichen Phantasie entsprungen war und für die künstlerische Bilderwelt eine immense semantische Erweiterung bedeutete. Dieses Erlebnis und der Wunsch, mit meinen Arbeiten moderne Geschichten – Rissa-Geschichten, welche die Welt noch nicht gehört oder gesehen hat – zu erzählen, bewog mich, ab 1964 gegenständlich zu malen. Auch war die informelle Malerei von K.O. Götz in ihrer Konzeption so einmalig rein und schlüssig, dass ich nicht mit einem ähnlich informellen Verfahren – etwa einem eklektischen – neben seiner Malerei als Malerin existieren wollte.

Auf einer Reise 1962 nach Amsterdam und Brüssel hatten wir uns zwei Aufsehen erregende Ausstellungen angeschaut. Einmal die erste Pop-Art Ausstellung aus den USA in Amsterdam und dann eine fantastische Jugendstil-Ausstellung in Brüssel.

Der Vergleich dieser beiden Ausstellungen mit ihren zeitlichen, örtlichen und strukturellen Unterschieden war hochinteressant für mich. Die Pop-Art war figurative Gegenwartskunst nach 1945 aus den USA kommend. Sie war

formal und semantisch einfach von der Werbung abgeleitet und nicht selten in der Wirkung banal.

Hingegen als Kontrast der europäische Jugendstil: figurativ und formal komplexe Kunst um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert, höchst artifiziell in England, Deutschland, Österreich-Ungarn Belgien, Italien und Spanien und noch anderen europäischen Ländern entstanden.

Diese unterschiedlichen figurativen Malerei-Konzeptionen elektrisierten mich derart, dass ich beschloss, aus beiden Konzeptionen Lehren zu ziehen (Einfachheit und Komplexität), um von nun an daraus meine eigene Malereikonzeption zu entwickeln.

Mit allen Fasern meiner Wahrnehmungsfähigkeit sog ich die Subtilität der Formgebung und der Semantik des Fin de Siécle, der Jugendstilkunst, in mein Schöpfungsvermögen ein. Um gleichzeitig bei der Pop-Art formal die neue Einfachheit mancher Motive und die ihrer Flächenformen – beides häufig aus dem Massenkonsum des Warenhauses entlehnt – mit verblüffter Neugier wahrzunehmen.

Diese beiden Ausstellungen im Ausland, Jugendstil und Pop-Art, brachten mich Deutsche bzw. Europäerin dann auf die Idee, die Verfeinerung des Malstiles bei den figurativen Werken des Jugendstiles, z. B. Jan Toorop (1858 bis 1928), Klimt (1862 bis 1918), Jan Thorn-Prikker (1868 bis 1932) und Aubrey Beardsley (1872 bis 1898), wobei mich besonders Klimt fasziniert hat, bei meiner Malereikonzeption mit dem gröberen einfachen Formenrepertoire der US-amerikanischen Pop-Art, z.B. Roy Lichtenstein (1923 bis1997), Andy Warhol (1928 bis 1967), Claes Oldenburg (geb. 1929) oder James Rosenquist (1933 bis 2017), zu verschmelzen. Dazu entwickelte ich noch eine eigenständige, unerwartete, differenzierte Motiv- und Themenwahl, die zwischen figürlicher Banalität (Bild: Die Klammer, 1968) und komplexer Motivfindung (Bild: Der Kardinal, 1965) hin und her pendeln sollte. Und das alles, ohne damit naturalistisch-realistische, symbolistische, surrealistische oder nur einfach expressionistische Bilder zu schaffen.

So kann ich sagen: Bei den gegenständlichen Rissa-Bildern handelt es sich stilistisch-syntaktisch und semantisch um eine europäisch differenziert gemalte

Bildkonzeption, reagierend auf und korrespondierend mit der in den USA entwickelten (plakativeren) Form der Pop-Art.

Jetzt 2018, da ich nach langer Zeit wieder einmal eine Ausstellung von dreißig

Rissa-Gemälden in der Akademie–Galerie der Kunstakademie Düsseldorf und danach in den Kunstsammlungen in Chemnitz zeigen konnte, ist mir aufgefallen,

wie unverbraucht und frisch meine Motiv- und Themenwahl, wie einmalig in ihrer abstrakt-konstruierten Form, meine Malweise ist.

Meine Bilder haben eine Thematik, die man als zeitgenössisch bezeichnen kann.

Beispiele:

Gegenwärtig finden auf den Straßen in verschiedenen Orten westeuropäischer Länder ab und zu Messerattacken auf Menschen statt. Mich selber verblüffend, malte ich bereits 1968 ein Bild mit dem Motiv eines Messers. Titel des Bildes: Das Messer. An manchen Orten in Europa sind heute vermehrt kopftuchver- hüllte Frauen in der Öffentlichkeit wahrzunehmen. Ich malte 1994 ein Bild mit einem Frauenkopf, dessen Haar und Mund verhüllt sind. Der Titel des Bildes: Die Wüstentochter.

Ich könnte mit dem Aufzählen von aktuellen Rissa-Bild-Motivkombinationen mit den Motiven Krieg, Erotik usw. noch lange fortfahren. Aber erhellender ist es für etwaige Rissa-Bild-Begeisterte, sich Rissa-Bilder im Original, im Museum oder im Internet anzuschauen, als darüber Texte zu lesen.

Rissa, 19. 11. 2018